HOAI im Umbruch: Wie flexibel darf Deutschlands Honorarordnung der Zukunft sein?

Während einige die fixen Rahmenbedingungen schätzen, sehen andere das starre System als Hindernis für Innovation und Marktanpassung. Doch was bedeutet die HOAI im internationalen Vergleich?

Viele Länder in Europa sind längst auf flexiblere Modelle umgestiegen, und die Honorare dort orientieren sich stärker am Markt – oft mit überraschenden Ergebnissen. Doch kann Deutschland daraus wirklich lernen, oder ist das hiesige Modell unverzichtbar für Qualität und Sicherheit?

Diese und weitere spannende Fragen haben wir mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Heiko Fuchs besprochen, der bei der 64. Baurechtstagung am 8. November zur „HOAI 202x“ referieren wird. Im Gespräch erläutert er die Eigenheiten der HOAI und zeigt auf, warum die Verordnung auch ohne Verbindlichkeit für viele Architekten und Planer, aber auch öffentliche Auftraggeber weiterhin bedeutsam ist. Das Gespräch führten Rechtsanwältin Jennifer Essig und Rechtsanwältin Franziska Pina.

 

Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist die HOAI ja schon ein relativ starres Modell. Inwieweit können wir von flexibleren oder stärker marktgetriebenen Honorarmodellen der anderen Länder lernen?

Um ehrlich zu sein, schaue ich gar nicht so gern ins Ausland, weil das meistens andere Märkte sind, andere Rahmenbedingungen und auch die Leistung oft nicht vergleichbar ist. Nehmen wir das Beispiel Großbritannien, wo ein Designer, der mit unseren Architekten relativ wenig zu tun hat, einen Entwurf entwickelt und dabei keinerlei Gedanken an die Umsetzung verschwendet.

Ich erinnere mich an ein Interview mit Sir Norman Foster, in dem es um ein Gebäude in Duisburg gegenüber vom Hauptbahnhof ging. Das Objekt war in der Presse gelandet, weil Fassadenplatten runtergefallen und auf dem Bürgersteig gelandet sind. Ein Journalist konfrontierte den Stararchitekten damit und bat um einen Kommentar. Foster antwortete lapidar: ‚Entschuldigung, ich habe nie herabfallende Fassadenplatten geplant‘. (lacht)

Das Beispiel zeigt, dass der Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien nicht funktioniert. Jemand entwickelt ein Design, das irgendjemand weiterplant, sodass es gebaut werden kann. Daher kann man gerade angelsächsische Honorarmodelle mit unseren eigentlich kaum vergleichen. Ich würde eher mal in Deutschland schauen: Was machen denn andere Freiberufler? Wie ist es den Anwälten gelungen, von dem sehr starren RVG oder damals der BRAGO auf eine Stundenvergütung umzustellen, was inzwischen weitestgehend Marktstandard ist? Daran würde ich mich als Architekt eher orientieren und die Deregulierung der Honorare, die es 2021 gab, stärker nutzen. Im Grunde kann ich als Architekt heute alles Mögliche vereinbaren. 

Ich mache bei der IBR ein Ganztagesseminar zum Thema Planernachträge, wo wir uns den ganzen Tag nur mit Umplanungs- und mit Verzögerungsnachträgen beschäftigen. Am Anfang sage ich immer: ‚Eigentlich ist das das überflüssigste Seminar der Welt‘. (lacht) Denn wenn Planer alle Stundenhonorare vereinbaren würden, dann könnten sie viel entspannter mit Nachträgen umgehen.

Das sehen wir jetzt auch bei der Integrierte Projektabwicklung (IPA). Da gibt es eine Selbstkostenerstattung, da wird im Prinzip jede Stunde bezahlt. Ich brauche keine Schnittstellenlisten, ich brauche kein Leistungsbild etc., weil das, was nötig ist, gemacht und bezahlt wird. Und das kann man heute schon nutzen.

 

Was mich auch schon seit Jahren umtreibt, ist die Frage, warum es keine Facharchitekten gibt. Es gibt Fachanwälte für alles Mögliche, es gibt Fachärzte, aber Facharchitekten gibt es nicht – auch, weil sich Architekten dagegen wehren und lieber als Generalisten unterwegs sind, die vom Einfamilienhaus bis zum Atomkraftwerk alles planen können wollen.

 

Nach der Deregulierung im Jahr 2021 dachten viele, dass sich die HOAI quasi selbst abschafft. Aber das ist nicht passiert und wird wohl auch nicht mehr passieren. Wie lässt sich das erklären?

Wir haben in Deutschland die Besonderheit, dass die Planer immer noch extrem kleinteilig organisiert sind. Das ist noch schlimmer als bei den Anwälten. (lacht) Gut ein Drittel sind Einzelarchitekten, mehr als ein weiteres Drittel haben zwei bis vier Beschäftigte – der größte Teil der Architekten hat also viel zu wenig Zeit, um sich lange mit Honorarverhandlungen und Stundensatzabrechnungen herumzuschlagen. Für die ist die HOAI ein wertvolles Instrument, um Honorarverhandlungen vor allem mit Verbrauchern oder kleineren Mittelständlern effizient zu führen.

Aber auch viele andere Marktteilnehmer wollen die HOAI. Die öffentlichen Auftraggeber schreiben weiter danach aus, die Planer bieten danach an. Das wird auch so bleiben. Das derzeit geltende, nicht mehr verbindliche Preisrecht ist ein guter Kompromiss. Wenn nichts vereinbart wird, gilt die HOAI mit ihrem Basis-Honorarersatz. Honorare können aber auch frei vereinbart werden. Der Gesetzgeber muss da eigentlich gar nicht mehr eingreifen.

 

Es stellen sich auch ganz andere Fragen, etwa hinsichtlich der AGB-Kontrolle von Honorarvereinbarungen, die von der HOAI abweichen. Wie schätzen Sie das ein?

Ich dachte schon, Sie fragen nie danach, (lacht) denn Sie sprechen damit ein persönliches Steckenpferd von mir an. Obwohl für Preisklauseln grundsätzlich keine AGB-Kontrolle vorgesehen ist, könnte sich dies ändern, wenn eine AGB-Klausel von der HOAI abweicht. In diesen Fällen kann eine Inhaltskontrolle erforderlich sein. Es gibt Rechtsprechung des BGH aus den 1980er Jahren, die wie die Faust aufs Auge zu dieser Frage passt.

Der Entscheidung zufolge können Klauseln, die außerhalb der Vorgaben der alten (verbindlichen) HOAI liegen, unwirksam sein. Und trotzdem sagen alle, denen ich das immer vortrage – und ich werde nicht müde, das überall vorzutragen – das sei ja „Preisrecht durch die Hintertür“ und so etwas können wir mit der unverbindlichen HOAI 2021 auf keinen Fall machen. Meines Erachtens ist das ein bisschen zu kurz gesprungen. Ich glaube fest daran, dass der VII. Senat das noch mal genau so entscheiden würde. Denn er hat seinerzeit ausdrücklich betont, dass es nicht darauf ankommt, ob die Parteien individualvertraglich, also ohne AGB zu verwenden, vom Preisrecht abweichen dürfen.

In meinen Verträgen gibt es keine anrechenbaren Kosten für die zu bearbeitende Bausubstanz. Bei mir werden alle Gebäude immer zusammen abgerechnet, damit ich die Degression nutzen kann.“ Wenn ich so etwas über die AGB regeln will, dann ist das aus meiner Sicht unwirksam, kann auch abgemahnt oder mit einer Unterlassungsklage durch eine Architektenkammer verfolgt und hocheskaliert werden bis zum BGH. Die AGB-Kontrolle ist so ein Thema, bei dem die eigentlich unverbindliche HOAI 2021 vielleicht eine Funktion hat, die viele derzeit gar nicht sehen.

 

Wie sehen Sie persönlich die langfristige Zukunft der HOAI? Könnte es irgendwann ein komplett freies Marktmodell ohne staatliche Vorgaben geben, oder erwarten Sie weiterhin eine gewisse Regulierung?

Zunächst einmal: Wir haben bereits ein freies Marktmodell. Schon jetzt kann jeder im Grunde alles vereinbaren. Gleichzeitig liefert die HOAI nach wie vor eine Orientierung. Was man auch nicht übersehen darf: die HOAI ist eine Rechtfertigung für öffentliche Auftraggeber. Die schreiben Planungsleistungen aus und wissen ganz genau, dass sie, wenn sie zum niedrigsten Preis beschaffen, auch die schlechteste Leistung erhalten.

Wer schon einmal an einer Ausschreibung für Anwaltsleistungen teilgenommen hat, bei der es nur um den Preis ging, weiß, wie so etwas ausgeht. Da ist immer einer dabei, der eine Beratungsstunde für 80 Euro anbietet. Dafür erhalten die Auftraggeber eine entsprechende Leistung. Alle wissen, dass sie nicht nur nach dem Preis einkaufen können, aber der Preis spielt natürlich eine bestimmte Rolle.

 

Öffentliche Auftraggeber richten sich nach der HOAI, weil sie so am besten gegen Angriffe von Fördergebern, Rechnungsprüfungsämtern und wem auch immer geschützt sind. Schließlich zahlen sie marktkonforme Preise, die das Gesetz vorsieht. Das ist ein wichtiger Punkt für die öffentlichen Auftraggeber, deswegen wird die HOAI wohl nie abgeschafft werden.

 

In ihrer jetzigen Funktion – als Orientierung und auch als Auffangregelung – ist die HOAI aus meiner Sicht auch einfach sinnvoll. Die Auffangregelung für Fälle fehlender oder mündlicher Honorarvereinbarungen hat es allerdings nur ganz knapp in die letzte Novelle von 2021 geschafft. Eigentlich sollte es nur eine Orientierung geben. Dagegen sprach dann aber, dass eine Verordnung, die nichts regelt, eigentlich keine Verordnung ist.

 

Warum sollte Baurechtsdeutschland Ihren Vortrag bei der 64. Baurechtstagung am 8. November in Dresden auf keinen Fall verpassen?

Der Besuch einer ARGE Baurechtstagungen lohnt sich immer. (lacht) Im Ernst: Im Vortrag geht es darum, was mit einiger Wahrscheinlichkeit im Jahr 2025 auf uns zukommt. Wer sich frühzeitig damit beschäftigt, hat schlicht einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen.

Zwei Dinge sind dabei wichtig: Zum einen wird man die neue HOAI nur verstehen, wenn man die Systematik auch der aktuellen HOAI verinnerlicht hat. Darauf gehe ich im Vortrag ein, immer entlang der Grundfrage: Was ist eigentlich die Funktion der HOAI? Hier kursieren immer noch viele Mythen.

Und das andere ist eben auch, dass ich derzeit auch schon für Honorarverhandlungen unser Gutachten zur HOAI 202x nutze. Was der Verordnungsgeber in einem guten Jahr regeln wird, kann ja heute nicht falsch sein. Daneben nutze ich schon jetzt die vorgeschlagenen geänderten Leistungsbilder für neue Verträge, bspw. für BIM-Leistungen, da ich mir sicher bin, dass die so kommen werden.

Kurz gesagt: Spätestens nach dem Vortrag ist man gewappnet für die HOAI 202x, und kann die Erkenntnisse auch heute schon nutzen, selbst wenn die Ampelkoalition auseinanderfliegt und der Novellierungsprozess nicht mehr abgeschlossen wird.

 

Herr Professor Fuchs, wir danken für das Gespräch

Rechtsanwalt Prof. Dr. Heiko Fuchs

  • Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
  • Mitglied in der ARGE Baurecht seit 2002
zum Profil

Im ersten Teil 1 des Interviews mit Prof. Dr. Heiko Fuchs zur HOAI 202x sprachen wir mit dem Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht über die wechselvolle Geschichte eines Regelwerks und wagen einen Ausblick auf die lang erwartete Neufassung.