Herr Steinbauer, was war das Verrückteste, was Sie jemals auf einer Baustelle erlebt haben?
Aus 30 Jahren Baustelle kann ich so einiges erzählen (lacht). Besonders ‚verrückt‘ ist sicher die Story eines deutschen Großkonzerns. Ich war für einen Bereich der Großbaustelle im Ausland als Bauleiter tätig. Eines Tages kam der Vorstandsvorsitzende zu Besuch und verkündet, dass die Produktion dort in zwei Wochen aufgenommen werden wird. Alle Verantwortlichen auf der Baustelle sind bleich geworden – aber haben gute Miene zu diesem unrealistischen Spiel gemacht. Daraufhin haben die Verantwortlichen vor Ort, die gut dastehen wollten, eine Art Kulissenbau geplant und umgesetzt. Mit allen Mitteln wurde eine Seite der Fabrik komplett fertig gebaut, es wurden Bäume gepflanzt, Rollrasen verlegt… Es sah aus, wie eine fertige Fabrik, aber eben nur von einer Seite. Auf der anderen Seite war noch alles offene Baustelle. Dann kam der große Tag, der Vorstandsvorsitzende ist vorgefahren, hat sich die eine Seite zeigen lassen, es wurden Fotos gemacht und sehr schnell war der Spuk vorbei (lacht).
Kostenrahmen gesprengt, Bauzeit überschritten, Unternehmen insolvent… Warum gehen Bauvorhaben in Deutschland regelmäßig schief?
Zunächst einmal ist Bauen ist eine äußerst komplexe Angelegenheit. Alles hängt mit allem zusammen und ohne Probleme zu bauen, ist praktisch unmöglich. Die Frage ist, wie mit den Problemen umgegangen wird. Hinzukommt, dass bauen in Deutschland extrem anspruchsvoll ist. Ich habe in den USA, in Südamerika, in Asien auf Baustellen gearbeitet. Nirgends ist der Anspruch so hoch, wie hierzulande. Das macht die Sache wahrlich nicht einfacher. Und schließlich ist da noch die Politik. Immer wenn die ins Spiel kommt, wird es ungleich schwieriger. Bestes Beispiel ist der Berliner Flughafen.
Was sind die typischen Probleme auf den Baustellen des Landes?
Ein großes Thema ist das Adhoc-Management. Heutzutage, mit all den digitalen Möglichkeiten sind regelmäßige Änderungen an der Tagesordnung. Früher hast du einen Plan gezeichnet und damit die Details der Bauausführung festgelegt. Du hast dir drei Mal überlegt, ob du noch mal was änderst. Heute sind Änderungen an der Tagesordnung. Die Planung ist noch nicht abgeschlossen und es wird schon gebaut. Ein anderes Thema ist der Preis. Oft wird billig gedacht und vergessen: ‚wer billig kauft, kauft doppelt‘. Und schließlich geht es um Führung, um Leitung und Projektmanagement auf der Baustelle – womit wir bei meinem Thema wären.
Sind die Probleme auf den Baustellen überhaupt lösbar? Wenn ja, wie?
Ja klar, der Schmerz muss nur groß genug sein, dann sind die Leute bereit, sich zu bewegen (lacht). Dafür brauchen wir nichts weniger als eine neue Kultur des Baues. Nicht immer alle gegen alle, sondern miteinander. Alle Beteiligten brauchen eine neue Einstellung, ein neues ‚Mindset‘. Es sollte erst gebaut werden, wenn die Planung in allen Details steht. Änderungen sollten als Nachtträge behandelt werden. Und: Baustellen werden von Menschen gemacht. Und die muss man für ein erfolgreiches Bauvorhaben zusammenbringen und ein Bewusstsein für das gemeinsame Ziel – die erfolgreiche Realisierung eines Bauvorhabens – schaffen.
Ich will den Erfolg vom Zufall befreien!
Der Bund hat gerade ein BIM-Portal gelauncht. Viele glauben an die Digitalisierung des Bauwesens als Game-Changer. Sie auch?
Eigentlich mag ich klare Antworten, hier muss ich aber ‚Jein‘ sagen. Als gelernter Automatisierungstechniker bin ich sofort dabei, wenn es um Digitales geht. Zumal die Baubranchen bei der Digitalisierung einiges aufzuholen hat. BIM ist daher sicher eine gute Entwicklung. Allerdings: Wenn ich eine schlecht organisierte Baustelle digitalisiere, dann habe ich eine schlecht organisierte digitale Baustelle (lacht). Im Ernst, die Technik ersetzt weder die zwischenmenschliche Kommunikation noch das schon erwähnte Mindset und vor allem nicht die verantwortungsvolle und zusammenarbeitsorientierte Führung einer Baustelle.
Integrierte Projektabwicklung (IPA) ist ein anderes Schlagwort, das in Deutschland noch sehr zögerlich mit Leben gefüllt wird. Sehen Sie hier Potenzial für bessere Bauverläufe?
Ja, unbedingt. Hier sehe ich ganz viel Potenzial. Endlich wird das Bauen nicht nur als eine Abfolge technischer Prozesse betrachtet. Vielmehr geht es bei der IPA auch um Kultur und um gute Kommunikation, um Vergütungsmodelle und Risikoteilung. Diese Ansätze finden sich auch in meiner Arbeit wieder, die auf drei Säulen steht: 1. Hilfsmittel, darunter fällt z. B. auch BIM, 2. die Menschen, 3. die Kommunikation. Wobei der dritte Punkt sicher der wichtigste ist, denn wenn immer etwas schief läuft am Bau, dann gibt es meist auch ein Kommunikationsproblem. Die IPA trägt diesem Problem Rechnung, was schon mal ein Riesenfortschritt ist. Allerdings sollte die Umsetzung nur so kompliziert wie nötig und so einfach wie möglich sein.
Sie nennen sich selbst „Der BaustellenCoach®“? Was genau können wir uns darunter vorstellen?
Der BaustellenCoach® hilft dabei, Baustellen zu organisieren, um Bauvorhaben erfolgreich zu realisieren. In meiner Rolle als externer Coach, darf ich den Beteiligten einen Spiegel vorhalten und deutlich machen, an welchen Stellen was nicht funktioniert und aufzeigen, wie es besser funktioniert. Das kennen wir aus dem Sport und auch aus der Persönlichkeitsentwicklung. Die Dinge, die Menschen erfolgreich machen, funktionieren auch auf einer Baustelle. So ist das Konzept zum BaustellenCoach® entstanden. Ich helfe den Beteiligten dabei, an sich zu arbeiten, an ihrer Einstellung – da ist es wieder, das „Mindset“, damit sie ihre Jobs als Bauleiter besser machen können.
Auf der Baustelle geht es durchaus rustikal zu. Ist man dort offen für Coaching?
Am Anfang habe ich da gegen Windmühlen gekämpft (lacht). Inzwischen habe ich aufgehört, die Leute bekehren zu wollen, die sagen, ‚so neumodernes Zeug brauche ich nicht‘. Denn es gibt genug Bauprofis, die ihre Projekte erfolgreich führen wollen und sich dafür auf Neues einlassen. Sicher spielt es dabei auch eine Rolle, dass der Input von jemandem kommt, der beide Seiten – Baustelle und Coaching – kennt.
Wie finden Sie heraus, wo auf einer Baustelle der Schuh drückt?
Am Anfang stehen immer Gespräche und zwar mit jedem Einzelnen, der auf der Baustelle irgendeine Rolle spielt. So erfahre ich nach und nach, wo die Probleme liegen. Die ersten Eindrücke und Erkenntnisse sammele ich schon beim ersten Besuch einer Baustelle: Wie sehen die Baustellengrenzen aus? Wie ist die Zufahrt organisiert? Wo kommen die Lieferanten an, wo wird der sein Material los? Wo kommt das Personal rein, wo ziehen die sich um? Wie schaut der Müllplatz aus? Wie ist der Ton untereinander? Und vieles mehr. So mache ich mir ein Bild und kann auf Basis dessen sehr genau die Stellschrauben definieren, an dem die Beteiligten drehen müssen, damit es besser läuft. Und nach 30 Jahren auf der Baustelle fällt mir kaum ein Fall ein, wo die Probleme rein technischer Natur waren. Es waren fast immer menschliche Themen.
Verraten Sie uns ihr Erfolgsgeheimnis?
Ich will nicht schon wieder ‚Mindset‘ sagen (lacht). Es geht immer um die Einstellung zum Gesamtvorhaben. In der IPA heißt das „Projektoptimum“. Daran sollten alle Entscheidungen ausgerichtet werden. Der Weg dorthin ist sehr schwer, weil es immer auch um Menschen und ihre persönlichen Befindlichkeiten geht. Wenn Sie die ernst nehmen, und auf das gemeinsame Ziel – die erfolgreiche Realisierung des Bauvorhabens – einschwören, stellt sich der Erfolg fast automatisch ein.
Coach Jürgen Klopp ist mit Manchester United im verflixten siebten Jahr, die Bilanz von Julian Nagelsmann in Bayer ist auch eher durchwachsen – erreicht der BaustellenCoach® immer sein Ziel?
Nein, aber immer öfter (lacht).
Herr Steinbauer, vielen Dank für das Gespräch!