Nichterlass eines Versäumnisurteils bei fehlender Verteidigungsanzeige als Befangenheitsgrund?

OLG München, Beschluss vom 24.11.2023 - 28 W 1292/23 Bau e ZPO §§ 42, 43, 44, 276 Abs. 1, 2, § 331 Abs. 3

1. Grobe Verfahrensverstöße können dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr vom normalerweise geübten Verfahren unterscheidet, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.*)
2. Die Besorgnis der Befangenheit kann deshalb bestehen, wenn das Gericht im Rahmen des schriftlichen Verfahrens trotz unterbliebener Verteidigungsanzeige kein Versäumnisurteil erlässt und stattdessen die beklagte Partei im Rahmen der Terminierung auf die Nichtanzeige hinweist.

OLG München, Beschluss vom 24.11.2023 - 28 W 1292/23 Bau e

ZPO §§ 424344276 Abs. 1, 2, § 331 Abs. 3

Problem/Sachverhalt

Nach Kündigung des Bauvertrags nimmt Bauherr K den Bauunternehmer, den der Schuld Beigetretenen und den für die Vertragserfüllung haftenden Bürgen (B) gerichtlich auf Schadensersatz in Anspruch. Die Kammervorsitzende (V) ordnet das schriftliche Vorverfahren an. Für den Fall der Säumnis im schriftlichen Vorverfahren hatte K den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt Nach der ordnungsgemäßen Zustellung der Verfügung zeigt nur B seine Verteidigungsbereitschaft innerhalb der am 03.06.2023 ablaufenden zweiwöchigen Notfrist bei Gericht nicht an. Ein Versäumnisurteil gegen B ergeht nicht. Ende Juni 2023 bestimmt V Verhandlungstermin auf den 30.08.2023. Sie weist B zugleich darauf hin, dass er seine Verteidigungsbereitschaft bisher nicht angezeigt hat und im Termin Versäumnisurteil ergehen kann. Noch bevor diese Verfügung zugestellt wird, zeigt B am 02.07.2023 seine Verteidigungsbereitschaft an. Am 11.07.2023 lehnt K die V wegen Besorgnis der Befangenheit ab. In der Stellungnahme zum Gesuch beruft sich V auf prozessökonomische Gründe und die fehlende Kausalität ihres Hinweises; im Übrigen hält sie den Antrag für unzulässig, weil K zuvor bereits einen Antrag auf Terminverlegung gestellt hat. Das Landgericht weist den Antrag zurück. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des K.

Entscheidung

Mit Erfolg! Der bloße Terminverlegungsantrag hat nicht zum Verlust des Ablehnungsrechts geführt. Die konkrete Sachbehandlung der V rechtfertigt im Übrigen die Annahme der Besorgnis ihrer Befangenheit. Die Schlüssigkeit der Klage gegen B vorausgesetzt, hätte V aufgrund der fristgerecht unterbliebenen Verteidigungsanzeige ein Versäumnisurteil gegen B erlassen müssen. Ein Ermessen wird durch § 331 Abs. 3 ZPO nicht eröffnet. Ein Hinweis an K auf eine fehlende Schlüssigkeit der Klage gegen B ist nicht erfolgt; die Schlüssigkeitsprüfung kann nicht aus prozessökonomischen Gründen unterbleiben. Aus Sicht des K kann es sich daher bei vernünftiger Betrachtung als willkürlich darstellen, dass das beantragte - vollstreckungsrechtlich vorteilhafte - Versäumnisurteil nicht erlassen wird und B trotz Ablauf der Notfrist noch einmal Gelegenheit gegeben wird, seine Verteidigungsbereitschaft zu erklären. Dieser Eindruck der ablehnenden Haltung der Richterin wird durch ihre dienstliche Stellungnahme, in der Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags geäußert werden, noch verstärkt.

Praxishinweis

Zweck des schriftlichen Vorverfahrens ist es, die Verteidigungsbereitschaft des Beklagten festzustellen und dem Kläger gegebenenfalls schnell zu einem Titel ohne Sicherheitsleistung zu verhelfen. Insofern lag sicherlich eine falsche Sachbehandlung vor; aber nicht jede fehlerhafte Sachbearbeitung rechtfertigt allein die Annahme der Besorgnis der Befangenheit. Ein Befangenheitsgesuch sollte deshalb wohl überlegt sein, denn ohne Zweifel führt es selbst bei Erfolg zu einer erheblichen Verzögerung des gesamten Verfahrens.

VorsRiOLG Martine Stein, Düsseldorf

© id Verlag