Coronavirus: Rechtliche Auswirkungen auf Bau- und Architektenverträge

Seit Wochen schränken in Folge des Coronavirus besondere Maßnahmen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ein. Die weiteren Entwicklungen sind noch nicht absehbar. Für die Ausführung von Bauprojekten stellen sich zahlreiche Rechtsfragen, die in Rechtsprechung und Literatur bisher noch kaum behandelt wurden. Rechtsanwalt Lars Markmann liefert erste Antworten.

Aktualisierte Fassung vom 1. April 2020

„Die Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) hat in der Bundesrepublik Deutschland zu ganz erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und des Wirtschaftslebens geführt, die noch vor wenigen Wochen undenkbar erschienen.“ So heißt es einleitend in der Gesetzesbegründung des Bundestags zum Gesetz „zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“, dessen „Vertragsrechtliche Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie“ unter Artikel 240 EGBGB bereits zum 01.04.2020 in Kraft treten.

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen rund um das Thema Coronavirus (SARS-CoV-2) stellen sich im gesamten Wirtschaftsleben und auch im Baugewerbe zahlreiche Rechtsfragen, die bisher in Rechtsprechung und Literatur kaum behandelt wurden. Nachdem zunächst mögliche Personal- bzw. Lieferengpässe im Vordergrund der Diskussion standen, stellen sich zwischenzeitlich deutlich weitergehende Fragen, sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Natur. Hierbei werden auch das Insolvenz- und Versicherungsrecht demnächst weiter in den Fokus rücken. Der nachfolgende Beitrag befasst sich insofern mit den bauvertragsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere mit Leistungsstörungen im Bau- und Architektenvertragsrecht.

 

I. Ausgangslage

Im Hinblick auf die rasenden Entwicklungen in der Krise kann sich auch die Rechtslage schnell ändern, wie nicht zuletzt eingangs zitierte Gesetzesänderung zeigt, die vom Bundestag am 25.03.2020 verabschiedet und in einer Sondersitzung des Bundesrats vom 27.03.2020 gebilligt wurde. Die Gesetzesänderung beinhaltet umfassende Regelungen zum Wirtschaftsrecht, unter anderem ein Moratorium, d.h. Leistungsverweigerungsrechte aus Gründen der Coronapandemie.

Die Regelung des Moratoriums findet sich im neu eingefügten Artikel 240 § 1 EGBGB und gilt für Verbraucher und Kleinstunternehmen unter der Voraussetzung, dass diesen die Erbringung der Vertragsleistung aus Umständen der Coronapandemie nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Das Leistungsverweigerungsrecht gilt allerdings lediglich in Bezug auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, d.h. Verträge zur Daseinsvorsorge bzw. Betriebsfortsetzung. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen hierunter sowohl für Verbraucher wie auch für Kleinstunternehmen etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste und – soweit zivilrechtlich geregelt – auch Verträge über die Wasserver- und entsorgung fallen (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 34). Für das Bauvertragsrecht dürften die Regelungen damit vorerst keine Rolle spielen.

Insofern bleiben zunächst die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien maßgeblich. Haben die Parteien in den Vertrag eine Klausel zu höherer Gewalt bzw. unabwendbaren Ereignissen („Force Majeure“) aufgenommen, bestimmen sich die Rechtsfolgen in erster Linie hiernach. Andernfalls ist für den Bauvertrag im Ausgangspunkt zu unterscheiden, ob die Parteien die Geltung der VOB/B (wirksam) vereinbart oder einen BGB-Bauvertrag abgeschlossen haben. Der Architektenvertrag ist bekanntermaßen seit dem 01.01.2018 in den §§ 650p ff. BGB explizit als Teil des (Bau-)Werkvertragsrechts des BGB geregelt und wird insofern auch hier anknüpfend an den BGB-Vertrag behandelt.

 

1. VOB-Vertrag

Haben die Parteien die Geltung der VOB/B (wirksam) vereinbart, findet sich eine detaillierte Regelung für Leistungsstörungen und deren Folgen in § 6 VOB/B. Danach ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine Behinderung vorliegt, was vom Auftragnehmer darzulegen ist. Erst in einem zweiten Schritt kommt es darauf an, worauf diese Behinderung zurückzuführen ist.

a) Bestehen einer Behinderung

Beruft sich der Auftragnehmer auf eine Behinderung durch das Coronavirus, ist in einem ersten Schritt nach allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, ob überhaupt eine Behinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 VOB/B vorliegt. Insofern ist es zunächst Sache des Auftragnehmers, eine Behinderung ausreichend konkret darzulegen. Aus der Behinderungsanzeige müssen die hindernden Umstände in hinreichender Klarheit hervorgehen; es sind Angaben zu machen, ob und wann die Arbeiten, die nach dem Bauablauf nunmehr ausgeführt werden müssen, nicht oder nicht wie vorgesehen ausgeführt werden können (OLG Oldenburg, Urteil vom 20.08.2019, 2 U 81/19; BGH, Urteil vom 21.10.1999, VII ZR 185/98; BGH, Urteil vom 21.12.1989, VII ZR 132/88). Eine Behinderung liegt nach der Rechtsprechung des BGH nicht vor, wenn die vermeintlich behindernden Umstände durch Umstellungen im Bauablauf abgefangen werden können (BGH, Urteil vom 21.03.2002, VII ZR 224/00). Auch hierzu werden ausführende Unternehmen Stellung nehmen müssen.

Insoweit gilt hinsichtlich der Coronapandemie nichts anderes als bei schwierigen Witterungsbedingungen; ein pauschaler Hinweis reicht zur Darlegung einer Behinderung nicht aus. Soweit sich der Auftragnehmer auf Leistungsstörungen in der Zulieferung beruft, ist zu prüfen, ob eine Beschaffung von einem anderen Zulieferer in Betracht käme. Soweit sich der Auftragnehmer auf betriebsinterne Störungen durch Krankheitsfälle / Quarantänemaßnahmen berufen möchte, ist zu prüfen, ob die Personalausfälle durch den Auftragnehmer anderweitig abgefangen werden könnten.

Im Falle von behördlichen Verfügungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) hingegen dürfte die Lage etwas einfacher gelagert sein. Soweit solche den Auftragnehmer direkt betreffen, wie etwa eine Stilllegung des Betriebs aufgrund von Corona-Fällen im eigenen Betrieb, ist die Behinderung mit vergleichbar wenigen Worten umschrieben.

b) Rechtsfolgen der Behinderung

In vielen Beiträgen zum Thema werden Behinderung und höhere Gewalt vollständig vermengt. Richtig ist jedoch: erst wenn feststeht, dass eine Behinderung überhaupt vorliegt, stellt sich die Frage der Rechtsfolgen der Behinderung. Der Terminus „höhere Gewalt“ ist hierbei in zweierlei Hinsicht von Bedeutung:

Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B verlängern sich zunächst die Ausführungsfristen, wenn eine Behinderung auf höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Ereignisse zurückzuführen ist. Gemäß § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B kommen im Falle einer Behinderung Schadensersatzansprüche gegen die andere Vertragspartei in Betracht, wenn diese die Behinderung zu vertreten hat, was jedoch bei höherer Gewalt oder unabwendbaren Ereignissen per Definition ausscheidet.

Der Begriff der höheren Gewalt wird in der VOB/B nicht definiert. Auch im BGB wird der Begriff an verschiedenen Stellen verwendet, ohne jedoch gesetzlich definiert zu sein (§ 206 BGB – Hemmung der Verjährung bei höherer Gewalt; § 701 Abs. 3 BGB – Ausschluss der Haftung des Gastwirts; § 651j BGB a.F. – Kündigung des Reisevertrags wegen höherer Gewalt).

Nach der Rechtsprechung des BGH ist als höhere Gewalt zu verstehen „ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist“ (BGH, Urteil vom 23.10.1952, III ZR 364/51).

Da sich die Coronapandemie nicht zuletzt durch ihre einschneidenden Quarantäne-Vorschriften von sonst auftretenden Krankheitswellen unterscheidet und insoweit nicht mehr als „vorhersehbar“ angesehen werden kann, wird man insofern sicherlich einen Fall höherer Gewalt annehmen müssen. Einschlägige Rechtsprechung existiert diesbezüglich für das Reisevertragsrecht. Hier haben in den vergangenen Jahren mehrere Instanzgerichte eine Epidemie im Zielland als Fall von höherer Gewalt bewertet.

Ob die Coronapandemie als höhere Gewalt anzusehen ist, könnte jedoch letztlich auch dahinstehen. Denn: Liegt eine Behinderung vor, für die die Coronapandemie verantwortlich ist, so liegen hierin jedenfalls für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) Alt. 2 VOB/B. In der Literatur wird insofern bereits eine grundsätzliche Materialknappheit als unabwendbares Ereignis angesehen, das zur Verlängerung der Ausführungsfristen führt (Döring in: Ingenstau/Korbion, VOB, 21. Auflage 2020, § 6 Abs. 2 Rn. 20; Sonntag in: Nicklisch/Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Auflage 2019, § 6 Rn. 54; ebenso Berger in: Beck'scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, § 6 Abs. 2 Rn. 81). Für eine Material- bzw. Personalknappheit im Falle einer Pandemie muss dies erst recht gelten.

c) Exkurs: Behinderung aus dem Risikobereich des Auftraggebers

Nicht zu vernachlässigen ist die Möglichkeit, dass die behindernden Umstände aus der Risikosphäre des Auftraggebers stammen, weil dieser etwa notwendige Entscheidungen nicht trifft, Pläne nicht liefert oder ausnahmsweise die Bereitstellung des Baumaterials schuldet und dies nicht zur Verfügung stellen kann. Auch eine solche Behinderung durch Umstände aus dem Risikobereich des Auftraggebers führt zunächst zu einer Verlängerung der Ausführungsfristen, und zwar unabhängig davon, worauf dies zurückzuführen ist, § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) VOB/B.

Die weiteren Rechtsfolgen richten sich auch in einem solchen Fall zunächst nach § 6 Abs. 6 VOB/B. Ist die Behinderung aus dem Risikobereich des Auftraggebers letztlich auf die aktuelle Coronapandemie zurückzuführen, scheitern Schadensersatzansprüche des Auftragnehmers gleichermaßen daran, dass der Auftraggeber die Behinderung nicht zu vertreten hat.  

Es bleibt die Frage, ob möglicherweise ein Anspruch aus § 642 BGB in Betracht käme, auf den § 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B ausdrücklich verweist. § 642 BGB setzt nach seinem Wortlaut zunächst kein Verschulden des Auftraggebers voraus. Gleichwohl hat der BGH mit Urteil vom 20.04.2017 (VII ZR 194/13) in letzter Konsequenz eine Einschränkung dahingehend vorgenommen, dass der Auftraggeber ohne weitere vertragliche Vereinbarung nicht jede erdenkliche Maßnahme treffen muss, um seinen Obliegenheiten nachzukommen. Ob der BGH damit eine Zumutbarkeitsgrenze einführen wollte, kann letztlich dahinstehen (dahingehend Kögl in: beck-online.GROSSKOMMENTAR BGB, Stand 01.01.2020, § 642 Rn. 50). Die Entscheidung zeigt jedenfalls, dass der BGH auch im Rahmen des § 642 BGB nicht gewillt ist, dem Auftragnehmer eine Entschädigung zuzusprechen, wenn unabwendbare Ereignisse den Bauablauf behindern.


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2. BGB-Bauvertrag

Für den BGB-Bauvertrag fehlt zwar eine dem § 6 VOB/B entsprechende Regelung, insbesondere zur Verlängerung der Ausführungsfristen. Im Ergebnis können vorstehende Ausführungen jedoch auch auf den BGB-Bauvertrag übertragen werden. Hier bestimmt § 286 Abs. 4 BGB, dass der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Zu vertreten hat der Auftragnehmer, sofern nichts anderes vertraglich vereinbart ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Liegen höhere Gewalt oder jedenfalls unabwendbare Umstände vor, so schließt dies bereits per Definition eine auch nur fahrlässige Pflichtverletzung des Auftragnehmers aus. Für den Fall schwerer Krankheit des Schuldners hat bereits das Reichsgericht angenommen, dass der Schuldner einen solchen Umstand nicht zu vertreten hat.

Insoweit kämen mangels Verzugs des Auftragnehmers auch keine Schadensersatzansprüche gegen ihn in Betracht. Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Auftraggeber nur unter den Voraussetzungen des § 286 BGB verlangen, d.h. wenn sich der Auftragnehmer tatsächlich in Verzug befände. Dieser liegt im Falle eines unabwendbaren Ereignisses – wie vorstehend ausgeführt – jedoch gerade nicht vor.

Kann der Auftragnehmer seine Leistungen aufgrund der Coronapandemie tatsächlich in keiner Weise erbringen, läge zudem eine vorübergehende Unmöglichkeit vor. In diesem Fall wären Auftragnehmer wie Auftraggeber ohnehin von ihren Leistungs- bzw. Gegenleistungspflichten vorübergehend befreit (§§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB).

 

3. Architekten- und Ingenieurverträge

Grundsätzlich sind auch Architekten- und Ingenieurverträge Werkverträge, die sich nach dem BGB beurteilen. Im neuen Bauvertragsrecht sind diese explizit in den §§ 650p ff. BGB als Teil des Werkvertragsrechts geregelt. Vorstehende Ausführungen gelten insofern zunächst gleichermaßen für Architekten und Ingenieure.

Die Probleme, die sich für Planer und Fachplaner derzeit stellen, dürften jedoch noch komplexer sein, als die der ausführenden Unternehmen. Dies betrifft insbesondere Bauvorhaben, die sich derzeit in der Planungsphase befinden. Hier ist es nun an den Architekten und Fachplanern, sowohl einen geeigneten Planungsterminplan, als auch einen entsprechenden Bauzeitenplan zu entwerfen.

Für die Planung sind die an der Planung fachlich Beteiligten so untereinander zu koordinieren, dass ein kontinuierlicher Planungsablauf ermöglicht wird. Aufgrund der derzeit bestehenden Imponderabilien – auch im Planungsprozess – entsteht ein deutlich erhöhter Koordinationsaufwand. Die Terminplanung ist fortlaufend zu aktualisieren. Dies gilt umso mehr für die einzelnen Gewerke der bauausführenden Unternehmen. Diese sind untereinander so zu koordinieren, dass Schaden am Bauvorhaben vermieden wird. Bei der Erstellung der Leistungsverzeichnisse wird zu berücksichtigen sein, ob Materialien derzeit überhaupt lieferbar sind. Jedenfalls ist der Planer gut beraten, zusätzliche zeitliche Puffer in der Terminplanung vorzusehen.

Die möglicherweise erforderliche Wiederholung von Grundleistungen wegen mehrfacher Terminplanungen oder durch (unverschuldete) verspätete Zuarbeit von Beiträgen der an der Planung fachlich Beteiligten dürfte berechtigte Mehrhonorarforderungen des Planers auslösen (weitergehend hierzu Werner in: Werner/Pastor, 16. Auflage 2018, Rdn. 1019 ff.). Aufgrund der Tatsache, dass der vorstehend beschriebene, nicht unerhebliche Mehraufwand des Planers bei Abschluss der laufenden Verträge regelmäßig nicht vorhersehbar gewesen sein dürfte, können auch Ansprüche auf Anpassung des Vertrags wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB in Betracht kommen. Dies gilt umso mehr, als über den Mehraufwand hinausgehend auch mit einer nicht unerheblichen Verlängerung des Planungs- und Objektüberwachungszeitraumes zu rechnen sein dürfte (auch hierzu Werner, aaO, Rdn. 1030 ff.).

Hat im Übrigen ein Planer die Funktion des Sicherheits- und Gesundheitskoordinators (SiGeKo) übernommen, so wird auch dieser seinen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan aufgrund der aktuellen Situation zu überarbeiten haben.

 

II. Ausblick

Derzeit bestehen – soweit zur Zeit dieses Beitrags ersichtlich – deutschlandweit keinerlei Einschränkungen, die den Lieferverkehr oder das Baugewerbe direkt betreffen würden. Insbesondere der Warenverkehr ist grenzüberschreitend weiterhin möglich. Die seit dem 23.03.2020 bundesweit geltenden Ausgangsbeschränkungen sehen regelmäßig Befreiungen für Handwerksbetriebe vor (vgl. etwa § 7 CoronaSchVO NRW vom 22.03.2020). Die weiteren Entwicklungen sind abzuwarten.

Der rechtliche Rahmen für die weitere Vertragsdurchführung wird auch davon abhängen, wie lange die nunmehr verhängten Ausgangsbeschränkungen letztlich aufrechterhalten bleiben. Welche rechtlichen Auswirkungen eine längerfristige Behinderung oder sogar Unterbrechung haben würde, soll nachfolgend dargestellt werden. Je nachdem wie sich die Lage entwickelt, kann eine Vertragsanpassung bzw. in letzter Konsequenz die Kündigung des Vertrags in Betracht kommen. Es ist jedoch Vorsicht geboten, die Voraussetzungen hierfür vorschnell zu bejahen.

 

1. VOB-Vertrag

Bei Vereinbarung der VOB/B würden sich die Folgen einer dauerhaften Unterbrechung in erster Linie nach § 6 Abs. 5 und Abs. 7 VOB/B bestimmen: Wird die Ausführung für voraussichtlich längere Dauer unterbrochen, ohne dass die Leistung dauernd unmöglich wird, kann der Auftragnehmer gemäß § 6 Abs. 5 VOB/B Vergütung für die ausgeführten Leistungen sowie darüber hinaus für die bereits entstandenen Kosten beanspruchen, die mit den Preisen für die ausgeführte Leistung nicht erfasst werden.

Eine gemäß der Regelung erforderliche Unterbrechung der Leistung liegt nicht bereits bei einer Behinderung vor, sondern erst, „wenn der Auftragnehmer keinerlei Tätigkeiten mehr auf der Baustelle entfaltet und nichts mehr geschieht, was unter Zugrundelegung der dem Auftragnehmer vertraglich auferlegten Leistungspflichten zur unmittelbaren Leistungserstellung und damit zum Leistungsfortschritt gehört“ (OLG Brandenburg, Urteil vom 28.06.2018, 12 U 68/17).

Gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B kann sodann jede Vertragspartei den Vertrag schriftlich kündigen, wenn eine Unterbrechung länger als 3 Monate dauert. In diesem Fall erfolgt die Abrechnung nach § 6 Abs. 5 VOB/B. Hat der Auftragnehmer die Behinderung – wie im Coronafall – nicht zu vertreten, so hat er auch einen Anspruch auf Vergütung der Kosten der Baustellenräumung, soweit diese nicht in der Vergütung für die bereits ausgeführten Leistungen enthalten sind, § 6 Abs. 7 S. 2 VOB/B.

Zu beachten ist insoweit, dass nach Ansicht des BGH § 6 Abs. 7 VOB/B zum einen auch dann Anwendung findet, wenn der Auftragnehmer vor der Unterbrechung mit seiner Leistung auf der Baustelle noch nicht begonnen hatte. Zum anderen kann nach BGH die Kündigung auch bereits vor Ablauf von 3 Monaten erklärt werden, wenn „mit Sicherheit feststeht, dass die Unterbrechung länger als drei Monate dauern wird“ (BGH, Urteil vom 13.05.2004, VII ZR 363/02). Letzteres wird jedoch vorerst nicht absehbar sein.

 

2. BGB-Bauvertrag, Architekten- und Ingenieurverträge

Wie oben ausgeführt, können Leistungsstörungen beim BGB-Bauvertrag sowie beim Architekten- und Ingenieurvertrag zu einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Leistungserbringung führen. Diese kann im Einzelfall einer dauernden Unmöglichkeit gleichstehen, was nach der Rechtsprechung dann der Fall ist, wenn „durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen“ (BGH, Urteil vom 19.10.2007, V ZR 211/06 mit weiteren Nachweisen).

In einer durchaus kritisierten Entscheidung hat der BGH für einen solchen Fall in entsprechender Anwendung von § 645 Abs. 1 BGB einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers angenommen (BGH, Urteil vom 11.03.1982, VII ZR 357/80). In dem Fall war die weitere Leistungserbringung (Montage einer Anlage im Iran) aufgrund politischer Unruhen bereits für 3 Jahre unmöglich gewesen. Hier ging es dann um die Frage, wem das Risiko von politischen Unruhen zuzuordnen war.

Auf Leistungsstörungen aufgrund der Coronapandemie lässt sich diese Rechtsprechung jedoch nach Ansicht des Verfassers nicht übertragen. Zum einen dürfte sich die Zeitdauer der vorübergehenden Unmöglichkeit nicht über einen derart langen Zeitraum hinziehen, dass diese mit einer dauernden Unmöglichkeit gleichgestellt werden könnte. Darüber hinaus ließe sich auch der Fall einer Pandemie weder dem Risikobereich des Auftraggebers, noch dem Risikobereich des Auftragnehmers zuordnen. Auch insoweit kann eine entsprechende Anwendung der Vorschrift vorliegend nach hier vertretender Auffassung nicht in Betracht kommen.

Im Falle einer längerfristigen Leistungsstörung wäre ferner an eine Kündigung aus wichtigem Grund zu denken. Diese Möglichkeit stünde grundsätzlich beiden Vertragsparteien zur Verfügung. Ein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund wird jedoch selten vorliegen – vorbehaltlich weiterer Entwicklungen in der Krise:

Ein wichtiger Grund liegt gemäß § 648a Abs. 1 S. 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann. Bereits aus der gesetzlichen Formulierung wird deutlich, dass insoweit eine Einzelfallabwägung stattzufinden hat. Hierbei ist Vorsicht dahingehend geboten, aufgrund der derzeitigen Coronapandemie vorschnell einen wichtigen Grund zur Kündigung anzunehmen. Nicht selten dürften die Leistungsstörungen bereits durch die Fristverlängerungen ausreichend berücksichtigt werden.

Nicht zuletzt wird man im Falle einer dauerhaften Leistungsstörung auch Ansprüche beider Seiten auf Anpassung des Vertrags wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB diskutieren müssen, wobei es auch insoweit auf die Umstände des konkreten Einzelfalls ankommen wird. Entscheidend ist dann insbesondere, ob die Vertragsdurchführung unter den geänderten Umständen für die Parteien unzumutbar wäre.

 

III. Praxishinweise

Vorstehende Ausführungen zeigen, dass in jedem Fall eine konkrete Einzelfallbetrachtung geboten ist, die entscheidend von den weiteren Entwicklungen abhängen wird. Maßgeblich sind in erster Linie immer die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Insbesondere in internationalen Verträgen ist eine Klausel für Fälle höherer Gewalt („Force Majeure“) regelmäßiger Vertragsbestandteil. Im internationalen Warenverkehr kann zudem, soweit nicht vertraglich ausgeschlossen, das UN-Kaufrecht (CISG) anzuwenden sein. In diesem Fall wäre Art. 79 CISG zu beachten, der eine explizite Regelung zur Befreiung von Vertragspflichten im Falle von unabwendbaren Umständen vorsieht.  

In allen Fällen sind die bauvertraglichen Kooperationspflichten zu beachten: Auch im Falle behördlicher Betriebsstillegungen wird man jedenfalls grundsätzlich eine Pflicht des Auftragnehmers annehmen müssen, den Auftraggeber auf bestehende Risiken aufgrund des Baustillstands hinzuweisen und geeignete Maßnahmen zur Schadensabwendung mitzuteilen. Übergeordnet sind hier Architekt und Fachplaner in der Pflicht, die ohnehin vor großen Herausforderungen in der Planung stehen dürften. Doch auch der Auftraggeber ist gut beraten, seinen Mitwirkungspflichten auch in der Krise geordnet nachzukommen und damit jegliche Diskussion um Ansprüche aus § 642 BGB von vornherein auszuschließen.

Öffentliche Auftraggeber, die die VOB/B zwingend der Vergabe zugrunde zu legen haben, stünden im Falle einer Vertragskündigung vor der Problematik, die Leistungen neu vergeben zu müssen. Auch für andere Auftraggeber dürfte die Suche nach einem neuen Vertragspartner regelmäßig keine leichte sein. Es empfiehlt sich daher in Zeiten der Krise für alle Seiten miteinander im Dialog zu bleiben und – soweit erforderlich und vergaberechtlich zulässig – ergänzende Vereinbarungen zu treffen.

 

Köln, 01.04.2020

Rechtsanwalt Lars Maria Markmann